Mindestens einmal im Leben sollte jeder sri lankische Buddhist den Adam’s Peak besteigen. Denn laut buddhistischem Glauben soll hier Buddha höchstpersönlich seinen Fußabdruck hinterlassen haben, kurz bevor er ins Paradies ging. Deshalb lautet der singhalesische Name auch Sri Pada, heiliger Fußabdruck. Doch auch für andere Religionen stellt der Berg im süd-westlichen Teil des Hochlandes einen Wallfahrtsort dar. So stammt der Fußabdruck den Christen zufolge vom Apostel St. Thomas, der das Christentum nach Sri Lanka gebracht haben soll. Die Hindus glauben wiederum, dass Lord Shiva hier bei einem seiner berüchtigten Tänze einen gigantischen Fußabdruck hinterlassen hat. Hindus nennen den Berg auch Samanalakande, was so viel heißt wie „Schmetterlingsberg“, der Berg wo Schmetterlinge zum Sterben hinkommen. Und die Moslems glauben, dass Adam hier zum ersten Mal einen Fuß auf die Erde setzte, nachdem er aus dem Paradies vertrieben wurde. Daher kommt auch der Name, Adam’s Peak.
Traditionell besteigt man den 2.243 m hohen Berg in der Nacht, um vom Gipfel aus den spektakulären Sonnenaufgang über den Wolken zu erleben. Für den Aufstieg benötigt man in gemächlichem Tempo etwa 3 bis 3einhalb Stunden. An Poya Festen (den monatlichen, buddhistischen Festen an Vollmond) kann es auch schonmal länger dauern, da dann alle Gläubigen auf einmal beschließen, ihren Göttern zu huldigen, was dazu führen kann, dass man den Sonnenaufgang verpasst, weil man irgendwo am Berg Schlange steht. Dies ist auch der Grund, weshalb die meisten Reiseführer von einer Adam’s Peak-Besteigung an Poya abraten. Wir wollen es trotzdem wagen, und wie es der Zufall will, steht gerade nicht nur irgendein, sondern das wichtigste unter den Poya Festen bevor: An Vesak, dem Lichterfest, das um den Vollmond gegen Ende April stattfindet, feiern die Buddhisten die Geburt sowie die Erleuchtung Buddhas, was bedeutet, dass alle Straßen hell erleuchtet ist und das ganze Wochenende bis in die Puppen gefeiert wird.
Es ist gerade einmal viertel nach 1 in der Nacht, als wir zusammen mit Erik, unserer chinesischen Bahnhofsbekanntschaft, unser Guesthouse am Fuße von Delhousie verlassen und verschlafen die Straße zum Dorf hochstapfen, wo der Weg zum Adam’s Peak seinen Lauf nimmt. Wir haben kaum geschlafen; in unserer Unterkunft wurde die ganze Nacht gefeiert, was bedeutet, dass einheimische Männer nebenan die ganze Nacht trinkend, kiffend und trommelnd Krach gemacht haben. Wobei nebenan heißt, dass der Besitzer unseres Guesthouses wenige Meter von uns entfernt mit seinen Freunden eine wilde Party gefeiert hat.
Während der Pilgersaison von Dezember bis April ist der Weg auf den Adam’s Peak von Laternen beleuchtet und windet sich, von unten gut sichtbar, um den Berg herum. Der Adam’s Peak, der sich unwirklich vom sternenklaren Nachthimmel abhebt, erscheint so weit weg, dass ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, wie wir den Gipfel vor Sonnenaufgang erreichen sollen. In Anbetracht der 5.200 Treppenstufen und etwa 1.000 Höhenmeter, die vor uns liegen, decken wir uns in Delhousie nochmal mit Wasserflaschen, Bananen und Rotis ein, bevor wir uns auf den Weg in den Himmel machen. Erik ist bester Laune und bleibt alle paar Meter stehen, um mit seiner teuren Kamera Fotos zu machen, die er dann direkt auf sein Smartphone überträgt und von dort auf Instagram hochlädt. Man muss seine Follower schließlich auf dem Laufenden halten, auch wenn man mitten in der Nacht einen Berg hochkraxelt… Wir sind recht müde, und aus Angst, den Gipfel nicht rechtzeitig zu erreichen lassen wir Erik, der gerade ein Stativ aufbaut, um den Berg mit Langzeitbelichtung zu fotografieren, schließlich zurück und trotten zu zweit weiter.
Der Weg zum Gipfel besteht aus Treppenstufen unterschiedlicher Länge und Höhe und ist theoretisch auch mit Flipflops zu bewältigen. Anfangs wechseln sich die Stufen immer wieder mit ebenerdigen Abschnitten ab, doch dann werden die flachen Stücke immer seltener und die Stufen immer steiler. Die Treppe wird nur unterbrochen von den unzähligen „Teashops“, die den Weg nach oben säumen und neben Tee auch Wasser, Limonade und Snacks verkaufen. Wie unser Reiseführer vorhergesagt hat, ist das letzte Drittel der anstrengendste Part: Unsere Beine sind müde, die Muskeln brennen und wir müssen alle zehn Minuten anhalten und kurz verschnaufen. Gesprochen wird kaum noch, wir konzentrieren uns nur noch auf‘s Treppensteigen. Auf dem letzten Stück ist die Treppe so schmal, dass ein Überholen beinahe unmöglich ist. Die Locals stehen teilweise in Gruppen fröhlich im Weg herum und machen keinen Zentimeter Platz; so dass wir uns an ihnen vorbeiquetschen müssen. Die Treppen sind jetzt so steil; dass wir uns mit den Armen am Geländer hochziehen, um die Beine zu schonen. Uns läuft der Schweiß runter und wir reißen uns alle paar hundert Meter die Jacken vom Leib, um sie kurze Zeit später wieder anzuziehen, weil der eisige Wind uns um die Köpfe weht.
Diejenigen, die den Gipfel schon erreicht haben und bereits wieder herunterkommen, sprechen uns Mut zu und motivieren uns: „Almost there!“ „Come on!“ „Half way there!“ Und tatsächlich weist plötzlich ein großes Schild auf den „Last Tea Shop“ hin und hinter einer letzten Kurve zeigt sich das Kloster auf dem Gipfel des Berges. Es ist viertel vor 5, auf dem Gipfel ist es dunkel und bitterkalt; überall sitzen und liegen Menschen in Decken eingehüllt und warten auf den Sonnenaufgang. Wir ziehen unsere Schuhe vor dem Tempel aus und reihen uns in die Schlange ein, um den heiligen Fußabdruck zu bewundern. Den bekommt man aber vor lauter Opfergaben nicht wirklich zu sehen. Doch wie bei allen heiligen Relikten zählt hier ohnehin vor allem der Glaube, denn dass ein Mensch einen 1,8 m langen Fußabdruck hinterlässt, dürfte wohl mehr als unwahrscheinlich sein…
Neben dem Schrein mit dem Fußabdruck befindet sich eine riesige Glocke, die man so oft läuten darf, wie man den Gipfel erreicht hat. Wir läuten sie einmal und warten dann, in all unsere Kleidungsstücke verpackt, auf den Sonnenaufgang. Gegen viertel nach 5 erscheint ein erstes Leuchten am Himmel. Jetzt beginnt das große Quetschen und Schieben, weil jeder den besten Platz zum Fotografieren ergattern will (Kleiner Tipp: Wenn man den Tempel hochkommt, geht die Sonne rechts auf; die beste Sicht hat man, wenn man hinter der großen Glocke die Treppe runtergeht). Und dann offenbart sich langsam die Magie des Adam‘s Peak: Zunächst sieht man nichts und plötzlich lösen sich die Wolken in Luft auf und geben den Blick frei auf die umliegenden Berge, die sich dunkel von den Wolken abheben; dazu die Morgenröte vor blauem Himmel: Magisch.
Kurz nachdem die Sonne aufgegangen ist, wirft der Adam’s Peak einen perfekten, dreieckigen Schatten im Westen, der heute sogar mit einem Regenbogen garniert wird. Dann wird es schnell recht heiß, und wir ruhen uns noch eine Weile im Schatten aus, bevor wir mit dem wirklich Anstrengenden beginnen: Dem Abstieg. Schon nach einigen Stufen will ich am liebsten aufgeben und einfach für immer auf dem Berg bleiben. Meine Beine sind zittrig und wollen einfach nicht mehr; ich im Übrigen auch nicht. Tatsächlich brauchen wir länger für den Abstieg als für den Aufstieg, da wir immer wieder Pausen einlegen und die Beine ausruhen müssen. Am Fuß des Berges gönnen wir uns eine Massage im Siddhalepa Haus, doch ich weiß, dass ich meine Glieder die nächsten Tage noch spüren werde. Aber die Strapazen waren es allemal wert, und ich werde die Glocke auf dem Gipfel mit Sicherheit noch einmal läuten.
- Funktionskleidung und genügend Kleidung für den Gipfel einpacken
- So wenig Gepäck wie möglich mitnehmen, Wasser und Snacks gibt es in den zahlreichen Teashops
- Unterkunft gleich für zwei Nächte buchen: Nach dem Adam’s Peak braucht man einen Tag Ruhe
- Das White House am Fuß von Delhousie ist schön und günstig (und ruhig, wenn nicht gerade Poya gefeiert wird)
- Eine Fuß- und Beinmassage im Siddhalepa Haus wirkt Wunder (ca. 15 Minuten, 360 LKR)
- Während der Pilgersaison von Dezember bis April ist der Weg auf den Adam’s Peak von Laternen beleuchtet. Außerhalb der Saison brauchst du eine Taschenlampe!
- Den Adam’s Peak an Poya besteigen oder nicht: An Vesak war es kein Problem, aber im Januar/ Februar zur Pilger-Hochsaison soll es fast unmöglich sein bzw. ewig dauern
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