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Istanbul – Den Urlaub stornieren oder jetzt erst recht?

Istanbul by night

Ich gebe zu, in Anbetracht der jüngsten Ereignisse muss man jetzt vielleicht nicht unbedingt nach Istanbul reisen. Und hätten wir nicht schon im Voraus gebucht oder hätten wir den Flug oder die Unterkunft stornieren können: Vielleicht hätten wir uns eine geeignetere Reisezeit oder ein anderes Ziel ausgesucht. Aber da schon alles bezahlt war, die Chance, etwas Geld zurück zu bekommen gegen Null ging und ich mich außerdem seit Monaten auf den Trip gefreut hatte, war die Entscheidung, zu fliegen oder Zuhause zu bleiben gar keine so leichte.

Ich gehöre eigentlich nicht zu den ängstlichen Typen. Wenn es um Reisen oder um Flugsicherheit geht, bin ich eigentlich immer recht optimistisch. Wenn es passende Flüge gegeben hätte, wäre ich letztes Jahr auch ohne zu Zögern mit Malaysia Airlines geflogen. Bei unserem Städtetrip nach Istanbul verhielt es sich allerdings ein wenig anders. Das Problem war, dass es bei den Anschlägen in Istanbul offenbar gezielt darum ging, die Stadt an ihrer empfindlichsten Stelle zu treffen: Im Januar hat ein Attentäter mehrere deutsche Touristen und einen Peruaner mit in den Tod gerissen, als er sich in der Nähe der Hagia Sophia und der Blauen Moschee in die Luft sprengte – den beliebtesten Sehenswürdigkeiten der Türkei.
Normalerweise würde ich sagen, okay, ich bin auch nicht der Typ, der jede Sehenswürdigkeit abhaken muss. Doch gerade bei dieser Reise hatte ich mich darauf gefreut, mir die wunderschönen Moscheen anzuschauen und mal ein wenig Tourist zu spielen. Wenn man als Reisender in einer fremden Stadt ist, bleibt einem ja nicht viel anderes übrig.

Zwei Wochen vor unsere Abreise wurden bei einem Anschlag in der Hauptstadt Ankara 35 Menschen in den Tod gerissen und 120 Menschen verletzt. Eine Woche vor unserer Abreise saßen wir mit Freunden zusammen und diskutierten, wie gefährlich es sei, nach Istanbul zu fliegen. Wir einigten uns darauf, dass es unwahrscheinlich sei, dass jetzt so bald wieder etwas passieren würde, und dann auch noch in Istanbul. Am nächsten Morgen lasen wir die Schlagzeilen: Ein Attentäter hatte sich in der bekannten Einkaufsstraße İstiklal Caddesi in die Luft gesprengt. Wieder mussten fünf Menschen sterben, 35 wurden verletzt. Und dieses Mal ereignete sich der Anschlag keine 500 m von der Unterkunft, die wir für unseren Aufenthalt bei Airbnb gemietet hatten.

Und da begannen wir uns wirklich zu fragen, ob wir fliegen sollten oder nicht. Theoretisch hätten das auch wir sein können: Ahnungslose Menschen, die an einem Samstagmorgen über die bekannteste Einkaufsstraße Istanbuls flanieren und einfach zur falschen Zeit am falschen Ort sind. Damit begann eine Woche voller Telefonate mit Verwandten, die wollten dass ich den Trip absage; Gespräche mit Freunden, die meinten dass wir auf jeden Fall fliegen sollen und ein einziges Kopfzerbrechen. Und ich begann mich zu fragen, wieso ich überhaupt reise. Wieso muss ich in eine fremde Stadt fahren und mir dort sogenannte Sehenswürdigkeiten ansehen, wenn ich stattdessen auch Zuhause in meiner eigenen Wohnung und in Sicherheit sein kann? Muss man das Risiko, in die Luft gesprengt zu werden, wirklich eingehen?

Und dann kamen die Terroranschläge in Brüssel und die Frage, ob man überhaupt noch fliegen oder U-Bahn fahren sollte. Kann man sich in großen Städten überhaupt noch auf die Straße trauen oder sollte man nicht besser alle Menschenansammlungen, offiziellen Gebäude, Sehenswürdigkeiten und alle für Terroristen potentiell interessanten Ziele vermeiden? Am besten wäre es doch, sich Zuhause zu verbarrikadieren und auf bessere Zeiten zu hoffen.

Doch das, was das Reisen für mich ausmacht, ist nicht, mir irgendwelche Sehenswürdigkeiten anzusehen oder irgendwelche Listen abzuhaken. Reisen bedeutet für mich, vom Leben zu lernen. Mehr über andere Kulturen, Religionen, Weltanschauungen und Lebensweisen zu erfahren. Und zuallererst bedeutet Reisen für mich Freiheit. Die Freiheit, zu reisen, wohin ich will; und mich dabei sicher zu fühlen. Weil ich mir von keinem wahnsinnigen, fanatischen Idioten vorschreiben lasse, was ich tun oder lassen darf. Denn dann hätten sie doch genau das erreicht, was sie mit ihren Anschlägen erreichen wollen: Angst und Schrecken zu verbreiten und unser Leben zu beeinflussen. Und das ist der Grund, weshalb wir uns letzten Endes dafür entschieden haben, nach Istanbul zu fliegen. Denn wenn mir jemand, der offenbar jedes Verhältnis für Menschlichkeit und den Sinn des Lebens verloren hat, vorschreiben will, was ich zu tun habe, dann sage ich: Jetzt erst recht.

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