Jessicas Blogparade Warum in die Ferne schweifen? hat mich dazu inspiriert, einmal darüber nachzudenken, warum ich eigentlich reise. Was bewegt mich dazu, immer wieder den sicheren Hafen der Heimat zu verlassen und in unbekannte Gewässer aufzubrechen? Was zieht mich immer wieder in die Ferne?
Die Sehnsucht nach der Ferne
Niemand wird wohl widersprechen, wenn ich behaupte, dass Urlaub die beste Zeit des Jahres ist. Frei haben, ausschlafen, faul in der Sonne liegen, einen drauf machen und sich die Zeit nach Lust und Laune einteilen – wer will das nicht?
Doch obwohl ich nichts dagegen habe, auch mal faul am Strand abzuhängen, muss ich sagen, dass Reisen für mich mehr ist. Nur Sonne, Strand und Sightseeing würden mich schon nach kurzer Zeit langweilen.
Um zu verstehen, warum ich so gerne reise, sollte man zunächst einmal wissen, dass ich nicht in Deutschland, sondern auf einer kleinen Insel im indischen Ozean geboren wurde: Sri Lanka. Die Sehnsucht nach tropischem Klima und saftig grünem Dschungel wurde mir also bereits in die Wiege gelegt. Obwohl ich in Deutschland aufgewachsen bin, ist der Winter jedes Jahr aufs Neue eine Qual, und der Sommer ist im Grunde auch ein Witz. Kein Wunder also, dass ich so oft es nur geht in die Sonne fliege. Doch so geht es ja im Grunde vielen Deutschen, und eigentlich ist das auch nicht der Grund für meine Reisebegeisterung. Da ist noch ein bisschen mehr als die Flucht vor Kälte und die Sehnsucht nach der Ferne.
Der Mensch, die Spitze der Evolution
Wir Homo Sapiens sind ja der Meinung, wir haben es recht weit gebracht. Der Mensch, die Spitze der Evolution. Wir reisen mit Flugzeugen um die Welt, sind dank unserer smarten Telefone überall erreichbar und arbeiten in sterilen Räumen vor super schnellen Computern. Wir entwickeln selbstfahrende Autos, intelligente Roboter und Armbänder, die uns sagen, wie unser Tag war. Dank unserer sozialen Netzwerke und Instant Messenger brauchen wir das Haus nicht mehr zu verlassen, um mit unseren Freunden in Kontakt zu treten. Und unsere klimatisierten oder beheizten Räume ermöglichen uns ein angenehmes Leben zu jeder Tages- und Jahreszeit.
Wenn ich fremde Länder und Kulturen bereise, beginne ich oft ganz automatisch, das Leben, so wie wir es führen, in Frage zu stellen. Ich merke dann zum Beispiel, wie unnötig die meisten Dinge sind, die wir besitzen.
Als ich letztes Jahr nach vier Monaten Backpacking nach Hause zurückkehrte und zum ersten Mal meinen Kleiderschrank öffnete, konnte ich nicht glauben, dass all diese Klamotten mir gehörten. Vier Monate lang hatte ich alles, was ich brauchte auf meinem Rücken getragen und dabei nichts vermisst. Es war so viel einfacher gewesen, sich zwischen 3 T-Shirts entscheiden zu müssen statt der 30, die ich in meinem Schrank fand.
„We’re not born just to pay bills and die.“
Auch der Sinn einiger Berufe kommt mir abhanden, wenn ich auf Reisen und längere Zeit von der „modernen“ Welt fort bin. Viele Menschen verdienen ihr Geld tatsächlich mit Dingen, die nichts mehr mit dem eigentlichen Sinn von Arbeit zu tun hat. Sie sitzen Tag ein, Tags aus in stickigen Büros vor dem Computer und beschäftigen sich mit virtuellen Dingen, die überhaupt nicht greifbar sind. Ursprünglich arbeiteten wir, um uns und unsere Familien zu ernähren. Wir sammelten Beeren und gingen auf die Jagd; wurden sesshaft und begannen mit der Viehzucht und dem Ackerbau. Damals erntete man buchstäblich die Früchte seiner Arbeit. Heutzutage weiß man gar nicht mehr, wofür man arbeitet. Man strebt danach, immer mehr Geld zu verdienen und bezahlt damit Essen und ein Dach über dem Kopf, aber auch jede Menge Rechnungen und Dinge, von denen uns weisgemacht wird, dass wir sie unbedingt brauchen.
Ich stelle mir oft vor, wie befriedigend es sein muss, ein Feld zu besitzen und meine Nahrung selbst anzubauen. Natürlich ist das ein Knochenjob, aber hinterher hast du die Früchte deiner Arbeit vor dir und weißt, wofür du den ganzen Tag oder das ganze Jahr über geschuftet hast. Was glaubt ihr, wieso Stricken, Nähen und Basteln in den letzten Jahren so populär werden konnte? Weil es kaum etwas Befriedigenderes gibt, als etwas mit seinen eigenen Händen gemacht zu haben. Reisen erinnert mich daran, dass es im Leben um mehr geht als darum, Geld zu verdienen und Rechnungen zu bezahlen.
Reisen bringt dich an deine Grenzen
In anderen Ländern ticken die Uhren im wahrsten Sinne des Wortes anders. Die Zeit, die in unserer hektischen Welt so wichtig ist, hat in anderen Teilen der Erde keinerlei Bedeutung. Gerade wenn man mit dem Rucksack unterwegs ist, lernt man das gerne mal auf die harte Tour. Der Zug kommt schon mal zwei Stunden später als angekündigt, man verpasst den nächsten Flug und sitzt mitten in der Nacht irgendwo in der Pampa fest. Die hygienischen Bedingungen lassen einem die Haare zu Berge stehen und der Komfort lässt ebenfalls zu wünschen übrig. Man teilt sich das Zimmer mit Kakerlaken und fetten Spinnen, hat Insektenbisse, die man nicht identifizieren kann und ist manchmal einfach kurz davor, wahnsinnig zu werden. In Indien habe ich einen Satz gelernt, der während meiner Zeit dort zu einem regelrechten Mantra wurde:
„You don’t make plans for India. India makes plans for you.“
Dieser Satz trifft nicht nur auf Indien, sondern im Grunde auf das ganze Leben zu. Dieses verrückte, riesige Land lehrt einen zu akzeptieren, dass es Dinge gibt, die man nicht ändern kann und auf die man keinen Einfluss hat. Und anstatt seine Energie darauf zu verschwenden, dagegen anzukämpfen, kann man nur eines tun: Sich zurücklehnen und schauen, was passiert.
Der Mensch und die Natur
Die wichtigste Erkenntnis aber, die mich unterwegs immer wieder einholt, ist folgende: Reisen zeigt mir, wie unglaublich weit wir uns von unserem Ursprung, der Natur entfernt haben. Wir sind so sehr davon überzeugt, die Spitze der Evolution zu sein, dass wir es für unser gutes Recht halten, andere Lebewesen und die Erde auszubeuten. Wir sind so sehr davon überzeugt, dieses Leben hier im Überfluss verdient zu haben, dass wir beinahe vergessen, dass es eine pure Laune des Schicksals war, die uns auf diesen Teil der Erde gebracht hat. Und wir haben uns so weit von der Natur entfernt, dass wir beinahe vergessen haben, dass wir selbst ein Teil von ihr sind.
Wir leben in einem Beton-Dschungel, in geschlossenen Räumen, auf einem Plastik-Planeten. Wir bewegen uns in Blechkisten auf betonierten Straßen fort, sitzen den ganzen Tag auf unserem Hintern und verbringen die meiste Zeit damit, auf Bildschirme zu starren, bis uns die Augen tränen. Und abends machen wir die Nacht zum Tag und lassen uns von künstlichen Lichtquellen, Flachbildschirmen und grellen Handy Displays anstrahlen. Während einige wenige Völker es immer noch schaffen, im Einklang mit der Natur leben, versuchen wir alles, um sie uns vom Hals zu halten.
Habt ihr schon einmal einen Camping Urlaub gemacht und gemerkt, wie befriedigend es ist, sich den ganzen Tag lang nur damit zu beschäftigen, einen geeigneten Schlafplatz zu suchen und Essen zu kochen? Das Handy ist ohnehin nach kurzer Zeit leer und das Licht der Taschenlampe ist nicht stark genug, um abends noch viel zu machen. Also geht man mit der Dunkelheit schlafen, um am nächsten Morgen von der Sonne geweckt zu werden. Und schon nach einigen Tagen passt man sich diesem natürlichen Rhythmus des Lichts an. Man ist den ganzen Tag draußen in der Natur und wird abends müde, sobald es dunkel wird. Ich finde, es gibt kaum etwas Erholsameres.
Warum ich immer wieder meinen Rucksack packe
Immer, wenn ich von einer größeren Reise nach Hause zurückkehre, sehe ich die Welt mit anderen Augen. Irgendetwas habe ich immer gelernt, über mich, über das Leben oder die Welt. Und jedes Mal nehme ich mir fest vor, diese kleinen Erleuchtungen mit in meinen Alltag zu nehmen. Doch was unterwegs so klar erscheint, beginnt nach einiger Zeit in meiner gewohnten Umgebung und meinem gewohnten Umfeld wieder zu verschwimmen.
Obwohl ich mich im letzten Jahr mal wieder davon überzeugen konnte, dass alles, was ich brauche in einen 50 Liter- Rucksack passt, verfiel ich nach einiger Zeit in Köln wieder in den üblichen Alltagstrott. Ich begann, mir dieses und jenes zu kaufen, suchte mir einen Job, der mir keinen Spaß, aber Geld brachte und vergaß allmählich die Erkenntnisse meiner Reise.
Doch ich weiß, dass sie irgendwo in mir schlummern und nur darauf warten, geweckt zu werden. Sie brauchen nur hin und wieder eine kleine Auffrischung, einen kleinen Schubs in die richtige Richtung. Das ist der Grund, warum ich immer wieder meinen Rucksack packe. Warum ich in die Ferne schweife. Weil ich mich hin und wieder daran erinnern muss, dass unsere Welt nur ein kleiner Teil des großen Ganzen ist.
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